Demokratische Technologien in Zeiten von Polarisierung und Desinformation
Jüngste Wahlen weltweit zeigen: Die Demokratie steht zunehmend auf dem Prüfstand. Desinformation und Polarisierung gefährden das Vertrauen der Bürger:innen in politische Prozesse. Technologische Entwicklungen können entscheidend dazu beitragen, diesen Herausforderungen zu begegnen und Bürger:innen stärker in die demokratische Teilhabe einzubinden. Vor diesem Hintergrund präsentierte Make.org auf der PIAZZA-Konferenz 2024 den Workshop „AI4Democracy: Wie können wir KI nutzen, um unsere Demokratie zu stärken und mehr Bürger:innen an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen?“. Expert:innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft trafen sich zu diesem interdisziplinären Workshop, um die Potenziale und Risiken Künstlicher Intelligenz (KI) in der Bürgerbeteiligung zu diskutieren und innovative Ansätze und praktische Anwendungsfälle zu entwerfen.
Chancen und Risiken von KI in der Bürgerbeteiligung
Sarah Delahaye, Geschäftsführerin der unabhängigen Civic-Tech-Plattform Make.org, hob in ihrem Vortrag die Potenziale von KI hervor, insbesondere die Möglichkeit, Barrieren abzubauen und den Zugang zu komplexen Informationen zu erleichtern. Ein Beispiel ist der Einsatz von KI zur Überwindung sprachlicher Barrieren oder zur Förderung deliberativer Verfahren, die darauf abzielen, die gesellschaftliche Partizipation zu stärken. Gleichzeitig betonte sie die Risiken, die mit dem Einsatz von KI verbunden sind, insbesondere in Bezug auf Desinformation. Diese könne das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben, wie einige Beispiele aus vergangenen Wahlkämpfen veranschaulichen.
Ein während der Veranstaltung vorgestelltes Projekt war „Panoramic AI“, eine Plattform, die KI nutzt, um Fragen auf Basis gesicherter Daten präzise zu beantworten. Ein entscheidender Vorteil ist, dass die Plattform stets detaillierte Quellenangaben macht und transparent darauf hinweist, wenn keine Antwort möglich ist. Dies fördert das Vertrauen der Nutzer:innen und sorgt für mehr Transparenz. Sarah Delahaye hob hervor, dass zentrale Herausforderungen dabei die Qualität der Daten, die Transparenz der Quellen und das Engagement der Nutzer:innen sind. Besonders wichtig sei es, Verzerrungen in den Daten zu erkennen und zu beseitigen, um verlässliche und ausgewogene Antworten zu gewährleisten.
Im Anschluss folgte eine offene Diskussionsrunde zu Datenschutz, Ethik und der Erfolgsmessung beim Einsatz von KI. Die Teilnehmenden betonten, wie wertvoll der Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen ist, um ein besseres Verständnis der Einsatzmöglichkeiten und Grenzen von KI zu gewinnen.
Praktische Anwendungsfälle für KI entwickeln
Im Rahmen des Workshops arbeiteten die Teilnehmenden anschließend in Kleingruppen, um konkrete Anwendungsfälle für den Einsatz von KI zur Stärkung der Demokratie zu entwickeln. Es wurden vielfältige Ideen entwickelt, darunter die Erstellung leicht zugänglicher Podcasts, die Implementierung KI-basierter Datenverarbeitung zur Automatisierung von Antragsprozessen in der Verwaltung sowie die Durchführung automatisierter Meinungsumfragen, um Stimmungsbilder aus der Gesellschaft zu erfassen.
Ein vielversprechender Ansatz war ein KI-Assistent, der Bürger:innen bei der Einreichung von Ideen und Anträgen für Förderprojekte unterstützt. Dieser Assistent könnte nicht nur prüfen, ob Förderkriterien erfüllt sind, sondern auch konkretes Feedback zur Verbesserung der Anträge geben und alternative Fördermöglichkeiten vorschlagen. Zudem könnte die KI vorhandene Datenbestände durchsuchen, um ähnliche Projekte aufzuzeigen und so Vernetzungen zu fördern. Ein solcher Assistent würde die Hürden für Bürgerbeteiligung senken und gleichzeitig die Effizienz der öffentlichen Verwaltung steigern. Die Teilnehmenden wiesen darauf hin, dass es ein sinnvolles Zusammenspiel aus Datenschutz und praxisnaher Handhabung brauche, um Vertrauen zu schaffen und gleichzeitig den Nutzen der KI-Tools für Vernetzung und Förderung zu maximieren.
Forschung trifft Praxis: Democratic Commons
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung präsentierten David Mas (CDO von Make.org und Leiter des Forschungsprogramms „Democratic Commons“) und Benjamin Piwowarski (Forscher am CNRS & Sorbonne Université) das Forschungsprogramm „Democratic Commons“. Dieses Programm wurde von Make.org in Zusammenarbeit mit den renommierten Institutionen Sciences Po, CNRS, der Universität Sorbonne und weiteren Partnern wie Hugging Face, Mozilla AI, Project Liberty, GENCI und Aspen Digital entwickelt, um generative KI gezielt im Dienste der Demokratie einzusetzen.
Ein zentrales Thema der Vorträge war der Umgang mit „Biases“ (dt.: Verzerrungen, Vorurteile, Voreingenommenheiten) in KI-Systemen. Die Referenten betonten, dass Trainingsdaten häufig bestehende Vorurteile aus dem Internet widerspiegeln, was dazu führt, dass KI-Modelle auf Basis gängiger, aber nicht notwendigerweise korrekter Aussagen entscheiden. Besonders betroffen sind dabei soziodemografische Verzerrungen, da bestimmte Gruppen überrepräsentiert sind, während andere kaum Beachtung finden. Das Projekt setzt darauf, diese Verzerrungen systematisch zu erkennen und zu minimieren, um verlässliche Antworten zu ermöglichen. Dabei arbeiten Sozialwissenschaftler:innen und Data Scientists eng zusammen, um praktische Lösungen zu entwickeln, die KI zur Förderung demokratischer Prozesse nutzbar machen.
Gemeinsame Herausforderungen und gezielter Einsatz von KI zur Demokratieförderung
In der abschließenden Diskussionsrunde waren sich die Teilnehmenden einig, dass viele Institutionen vor ähnlichen Herausforderungen bei der Nutzung von KI zur Bürgerbeteiligung stehen. Eine engere Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Verwaltung ist entscheidend, um Synergien zu schaffen und innovative, zugleich verantwortungsvolle Lösungen zu entwickeln. Regelmäßige Veranstaltungen und Netzwerke könnten diesen Austausch intensivieren. Nur durch kontinuierlichen Dialog und strategische Weiterentwicklung kann KI das Vertrauen in demokratische Institutionen stärken und eine aktive Bürgerbeteiligung nachhaltig fördern. AI4Democracy, eine Allianz aus unterschiedlichen Organisationen, versucht bereits, dieses Vorhaben umzusetzen.
Die Veranstaltung verdeutlichte das große Potenzial von KI zur Unterstützung der Demokratie, zeigte jedoch auch die bestehenden Herausforderungen auf. Die Teilnehmenden betonten, dass es nicht primär darum geht, ob KI in der Bürgerbeteiligung eingesetzt werden sollte, sondern vielmehr, wie sie zielgerichtet genutzt werden kann, um demokratische Prozesse zu stärken und Bürger:innen einzubinden. KI sollte nicht als Selbstzweck, sondern als spezifisches Werkzeug verstanden werden, um demokratische Teilhabe effektiver und verantwortungsvoll zu gestalten.
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