Kollaborativ in die Umsetzung und Weiterentwicklung – Servicestandard für die digitale Verwaltung

Beitragsbild Servicestandard

Digitale Dienstleistungen können maßgeblich dazu beitragen, den Kontakt der Bürger*innen mit der öffentlichen Verwaltung effizienter, transparenter und inklusiver zu gestalten. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild: Nur 16 % der Deutschen stimmen der Aussage „Der Staat macht mein Leben leichter“ (Initiative D21 2024, S.14) zu, und lediglich 19 % empfinden Behörden als genauso effizient wie Wirtschaftsunternehmen (vgl. ebd., S.8). Gerade deshalb ist eine hochwertige Digitalisierung so wichtig, sowohl für Bürger*innen und Unternehmen als auch für Mitarbeitende in der Verwaltung selbst, indem sie effizientere Prozesse ermöglicht und nutzungsfreundliche Systeme bereitstellt. Was braucht es also, um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung nicht nur technisch umzusetzen, sondern einen echten Mehrwert sowohl für Nutzende als auch für Anwendende zu schaffen? Servicestandards bieten hier einen vielversprechenden Ansatz – ein Thema, das im Workshop Kollaborativ in die Umsetzung und Weiterentwicklung – Servicestandard für die digitale Verwaltung im Rahmen der PIAZZA 2024 unter Leitung von Martin Jordan und Stefan Matanovic (DigitalService des Bundes) mit Expert*innen aus der Verwaltungspraxis diskutiert wurde.

Der Servicestandard definiert ganzheitliche Qualitätsprinzipien für die Entwicklung, Umsetzung und den Betrieb digitaler staatlicher Leistungen (vgl. BMI 2023). Seit seiner Einführung 2020 durch das Bundesministerium des Innern bietet er staatlichen Institutionen und Akteuren erstmals einen Leitfaden für hochwertige digitale Entwicklungspraxis. Er begleitet den gesamten Produktentwicklungszyklus und stellt mit einem Servicehandbuch sowie einem Selbstaudit praktische Werkzeuge bereit, um den Reifegrad von Digitalisierungsprojekten zu bewerten und gezielt zu verbessern (ebd.). Hierbei steht insbesondere die Nutzendenorientierung im Mittelpunkt: Verwaltungsdigitalisierung ist nur erfolgreich, wenn die Online-Services tatsächlich von der Zivilgesellschaft genutzt werden. Der Servicestandard verfolgt daher einen programmübergreifenden Ansatz, welcher Beteiligte auf allen föderalen Ebenen dabei unterstützt, digitale Verwaltungsangebote sowohl im Kontext des Onlinezugangsgesetzes (OZG) als auch darüber hinaus zu entwickeln und zu optimieren. Ziel ist es, digitale Verwaltungsleistungen zu schaffen, die barrierefrei, effizient und vertrauenswürdig sind.

Servicestandards sind ein bewährtes Mittel, um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung effizient und nutzerfreundlich zu gestalten, wie ein Vortrag im Workshop zum Servicestandard in Großbritannien zeigte. Dort hat der „Digital by Default“-Ansatz mit klaren Qualitätsprinzipien, strikten Überprüfungsmechanismen und umfassender Unterstützung für die Umsetzenden dazu geführt, dass digitale Verwaltungsangebote erfolgreich genutzt werden und die Verwaltung insgesamt moderner und zugänglicher geworden ist.

In Deutschland steht der Servicestandard hingegen noch vor zentralen Herausforderungen: Er wird häufig nur retrospektiv als Checkliste genutzt, anstatt als integratives Begleitwerkzeug während des gesamten Entwicklungsprozesses. Seine Empfehlungen sind unverbindlich, wenig bekannt, und es fehlt an praxisnahen Hilfestellungen wie konkreten Projektbeispielen oder einer Community für den Erfahrungsaustausch. Mit der Weiterentwicklung zum Servicestandard 2.0 sollen diese Schwächen überwunden werden: Die Einführung eines DIN SPEC-Konsortialstandards soll erstmals konkrete, überprüfbare Anforderungen schaffen und Grundlage für die rechtliche Verankerung des Standards bilden. Zusätzlich dazu ist die höchstmögliche praktische Anwendbarkeit des Servicestandards weiterhin von zentraler Bedeutung.

Ziel des Workshops war es, die Weiterentwicklung des Servicestandards 2.0 mit Expert*innen aus der Verwaltungspraxis zu diskutieren. Die Teilnehmenden wurden in zwei Gruppen aufgeteilt und analysierten auf einem digitalen Conceptboard die überarbeiteten zwölf Qualitätsprinzipien. Dabei standen zwei Leitfragen im Fokus:

  1. Was brauche ich, um die Qualitätsprinzipien umsetzen zu können?
  2. Was wird in meiner Organisation nicht funktionieren und warum?

Die Ergebnisse aus den Kleingruppen wurden anschließend im Plenum diskutiert.

In der Diskussion wurden sowohl praktische Hürden als auch notwendige Unterstützungsmaßnahmen für die erfolgreiche Implementierung des Servicestandards deutlich. Dabei wurden insbesondere strukturelle Defizite als zentrale Herausforderung identifiziert. Es fehlt an personellen und finanziellen Ressourcen sowie an interdisziplinären Teams mit ausreichendem Know-How. Hinzu kommen unzureichende Expertise bei der Barrierefreiheit und die mangelnde Koordination arbeitsteiliger Projekte, die die Umsetzung zusätzlich erschweren. Neben den strukturellen Problemen spielen kulturelle Hürden eine ebenso zentrale Rolle. Die Diskussion zeigte, dass die Schwierigkeiten bei der Einführung von Servicestandards oft weniger technologischer, sondern vielmehr organisatorischer Natur sind. Die Teilnehmenden betonten, dass ein grundlegender Wandel hin zu mehr Nutzerorientierung und Offenheit notwendig ist. „Die Kultur in der Verwaltung ist (noch) nicht darauf ausgerichtet, Dinge zu hinterfragen – das Mindset fehlt“, fasste einer der Teilnehmenden die Problematik treffend zusammen. Dies zeigt sich etwa bei den Nutzerbedürfnissen, die in vielen Kommunen zwar bereits bekannt sind, jedoch selten systematisch dokumentiert oder in Entscheidungsprozesse integriert werden.

In der Diskussion wurde die Bedeutung eine klare Prioritätensetzung und Verteilung von Verantwortlichkeiten sowie einer einheitlichen Gestaltung des Servicestandards betont. So sehen die Teilnehmenden ein zentrales Problem darin, dass Kommunen als ausführende Stellen die diskutierten strukturelle Herausforderungen eigenständig nicht vollständig lösen können. Es braucht gezielte Maßnahmen und Unterstützung, um diese Defizite zu beheben und den Servicestandard wirksam in der Verwaltungspraxis zu implementieren. Ein zentraler Vorschlag war es daher, Kommunen nicht nur in der Anwendung des Servicestandards zu unterstützen, sondern sie im Rahmen der Richtlinienvergabekompetenz gezielt dafür zu befähigen, die Einhaltung des Servicestandards systematisch überprüfen zu können. Ergänzend wurde die Bedeutung moderner, zielorientierter Verträge betont, die weniger auf die Beschreibung bestehender Probleme in Verwaltungsprozessen abzielen, sondern vielmehr klare Zielzustände für IT-Projekte definieren.

Zusammenfassend zeigte die Diskussion im Workshop, dass der Servicestandard 2.0 ein vielversprechendes Instrument für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist. Allerdings erfordert seine erfolgreiche Umsetzung nicht nur technischer Anpassungen, sondern auch tiefgreifender struktureller und kultureller Veränderungen in der Verwaltungspraxis, um langfristige Erfolge zu sichern.

Quellenverzeichnis

Bundesministerium des Innern und für Heimat. (2023). Der Servicestandard für die digitale Verwaltung. https://www.digitale-verwaltung.de/Webs/DV/DE/onlinezugangsgesetz/servicestandard/servicestandard-node.html

Initiative D21 e. V. (2024). eGovernment MONITOR 2024. https://initiatived21.de/presse/egovernment-monitor-2024-luecke-zwischen-wunsch-und-wirklichkeit-staat-muss-erwartungen-gerecht-werden-um-vertrauen-zurueckzugewinnen?utm_source=chatgpt.com

Anhang: Screenshots, der wichtigsten Diskussionsergebnisse

Die Abbildung zeigt Ergebnisse in drei Spalten, die virtuell mit Sticky-Notes zusamengetragen wurden.
Spalte 1: Das brauche ich, um es gut umsetzen zu können...
klare Verteilung der Verantwortlichkeiten, Zeit und Ressourcen, Qualifkation und Befähigung usw.
Spalte 2: Das wird in meiner Organisation nicht funktionieren, weil... 
zu wenig Zeit, 
zu viel zu tun, keine Zeit, Mentalität.  
Spalte 3: Änderungsvorschläge, Umformulierungen: 
Formulierungen sollten nachprüfbar und messbar sein, Klärung, wer wirklich eine Sache verantwortlich ist, Formulierungen wie "kindliche Naivität" passen kaum zum bestehenden "Verwaltungsdenken".
Abbildung 1: Diskussionsergebnisse unbearbeitet.
Die Abbildung zeigt ähnlich wie Abbildung 1 die Ergebnisse in drei Spalten, die virtuell mit Sticky-Notes zusamengetragen wurden.
Die Ergebnisse sind nun konsolidiert:
Spalte 1: Das brauche ich, um es gut umsetzen zu können...
Einheitliche Beschreibung, Koordination, Definitionen, Gestaltung; Bessere, Transparentere, Kürzere Kommunikationswege. 
Spalte 2: Das wird in meiner Organisation nicht funktionieren, weil... 
zu wenig Zeit, Ressourcen der Beschäftigten.
Spalte 3: Änderungsvorschläge:
Erweiterung des Feedbacks durch datenbasierte Quellen.
Abbildung 2: Diskussionsergebnisse konsolidiert.

Beitragsbild von Lama Roscu auf Unsplash