Blogbeitrag zum Workshop „Digitalisierungsprojekte – Herausforderungen und Hürden meistern“: https://piazza-konferenz.de/die-workshops/2023_digitalisierungsprojekte/
Digitalisierung passiert nicht einfach so. Mit guten Ideen, Beraterweisheiten, Hochglanz-Roadmaps oder agilen Arbeitsweisen allein ist es nicht getan. Digitalisierung wird durch Menschen in die IT-Praxis gebracht und bewegt sich zwischen „den Fachprozess irgendwie mit IT umsetzen“ und den hochkomplexen, behördenweiten Rollouts im Zuge der IT-Konsolidierung des Bundes.
Für die Umsetzung von Digitalisierung wird häufig klassisches oder auch agiles Projektmanagement eingesetzt und manchmal auch die zugrunde liegenden Fachprozesse betrachtet, bestenfalls sogar optimiert. Diese Digitalisierungsprojekte werden anschließend an die „IT“ abgegeben und sind damit abgeschlossen. Vielleicht ist mancher Projektleitende jedoch erstaunt, warum es hier nicht so gut weitergeht oder das Projekt tatsächlich abgebrochen werden muss. Einige Projekte wurden sogar erst in einer fortgeschrittenen Testphase aufgrund von Problemen mit dem Datenschutz und technischen Details angehalten.
Was ist passiert?
Digitalisierungsprojekte scheitern wie andere Projekte jeden Tag. Langzeitstudien des Chaos-Reports der Standish Group zeigen, dass nur ca. 30 Prozent aller IT-Projekte einen erfolgreichen Abschluss erleben, 20 Prozent scheitern vollständig und 50 Prozent sprengen meist den Kosten- oder Zeitrahmen oder abliefern minderwertige Qualität.
„In Digitalprojekten wird gerne ausgeblendet, dass sie auch scheitern können. Insbesondere wird gerne Negatives vergessen, da die Innovationswelle ja weiterrollt und niemand Zeit hat, über das alte Projekt nachzudenken. Es wird wenig aus Fehlern in den Organisationen gelernt.“ (Woehe, Jens Marcus; Kurz, Eberhard (2021): Krisen in Digitalprojekten erfolgreich managen – Ein Leitfaden zur Krisenprävention, Projektsanierung und –neuausrichtung.- Hanser Verlag, S. 4).
„Auf Ministeriumsebene ist der Bundesrechnungshof für die Prüfung der IT-Großprojekte der Ministerien zuständig und prangert Jahr für Jahr in seinem öffentlich zugänglichen Jahresbericht Mängel im Projektmanagement, wenig IT-Fachkompetenz und keine ausreichenden Wirtschaftlichkeitsanalysen an.“ (ebd., S. 3).
Erfolgreiche Digitalisierungsprojekte?
In seiner Ringvorlesung „Erfolgreiche Digitalisierungsprojekte“ am eGovCampus beschreibt Prof. Dr. Andreas Schmid den Zielkonflikt von E-Government und Digitalisierung: einerseits „die Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations-und Kommunikationstechniken über elektronische Medien…“ (Lucke und Reinermann 2000, Electronic Government in Deutschland, S.1) und andererseits: „Unter Digitalisierung wird die Automatisierung durch Informationstechnologie verstanden. Die von Menschen wahrgenommenen Aufgaben werden von Computern übernommen“ (Prof. Dr. Thomas Hess, 2019, Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik).
Allerdings setzt sich seit einigen Jahren die Erkenntnis durch, dass Digitalisierung heute mehr ist und „[…] häufig – etwas breiter – mit der Einführung digitaler Technologien in Unternehmen und als Treiber der digitalen Transformation gleichgesetzt [wird].“ (ebd.).
Mit der Einführung digitaler Techniken werden zunehmend auch gut etablierte Methoden und Denkweisen aus der Softwareentwicklung wie das KISS („Keep it small and simple“)-Prinzip oder agile Vorgehensweisen jenseits der IT erfolgreich eingesetzt. Once-Only-Prinzip, interdisziplinäre Zusammenarbeit, offene Standards und Open Source sowie die Modularität und Nachnutzung von Software bilden u.a. beispielweise den Servicestandard im Rahmen der OZG-Umsetzungen.
Im Sinne einer digitalen Transformation umfasst Digitalisierung aber auch kritisches Hinterfragen wie „Ist dieser Prozess in dieser Form noch aktuell?“, „Können Vorgänge nicht zusammengedacht und Synergien generiert werden?“, „Ist eine Interaktion mit dem Bürger/Unternehmen überhaupt erforderlich?“. Leyh & Meischner zeigten in einer empirischen Studie zudem, dass einheitliche digitale Strategien und Visionen in den Unternehmen die wichtigsten Faktoren der Digitalisierung in der Praxis darstellen (Leyh, Christian; Meischner, Nico (2018): Erfolgsfaktoren-von-Digitalisierungsprojekten.- ERP Management 34/2:35-38).
Folgen für die Verwaltungspraxis
Aus IT-Sicht kann Digitalisierung im behördlichen Umfeld als IT-Unterstützung von Verwaltungsvorgängen verstanden werden, d.h. u.a. die digitale Bereitstellung aller Informationen zur eigentlichen fachlichen Bearbeitung, das Automatisieren von Prozessschritten und die digitale Interaktionen zwischen der Verwaltung und den Bürger und Bürgerinnen bzw. Unternehmen. Vom Ziel her gedacht, ist eine Umsetzung in der Praxis also erst dann erfolgreich, wenn die IT-Anwendung produktiv im Regelbetrieb eingesetzt wird und die Nutzer, also Bürger und Verwaltungsmitarbeiter gleichermaßen, nicht nur damit arbeiten, sondern auch mit der Software zufrieden sind.
Um diese digitalen Voraussetzungen zu schaffen werden in der Regel Digitalisierungsprojekte durchgeführt. Diese bringen im Idealfall nicht nur die übergeordneten Strategien in die Praxis, binden zudem betroffene Nutzer und Stakeholder ein, sondern gliedern die zu entwickelnde Software in die lokale IT-Infrastruktur ein.
Dimensionen von Digitalisierungsprojekten
Digitalisierungsprojekte sind so individuell wie die zugrunde liegenden Fachprozesse. Die Projektgröße, die eigene Betroffenheit und die vorhandene Fachkompetenz sind dabei wichtige Dimensionen zum Verständnis potentieller Hürden.
Die Dimension Projektgröße sowie die Vielfalt, Art des Projektes und die Komplexität der Digitalisierungsprojekte stellen in der Umsetzung große Herausforderungen dar, je nach Fachfrage und den technischen Möglichkeiten. Zum einen liegt aktuell nicht nur das mediale Interesse vor allem auf der Durchführung von Projekten im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Seit 2017 wurden umfangreiche gesetzliche Rahmenbedingungen bzw. Abstimmungsgremien wie der IT-Planungsrat und die FITKO geschaffen und angepasst, um die föderale Zusammenarbeit zwischen Bund, Länder und Gemeinden bei der technischen Umsetzung der teilweise sehr großen Projekte zu unterstützen. Zum zweiten befindet sich zeitgleich das Großprojekt „IT-Konsolidierung“ für alle Bundesbehörden in der Umsetzung. Die Konsolidierung von Betrieb und Diensten zielt speziell auf die Harmonisierung von IT-Basisdiensten. Zum dritten gibt es noch die unzähligen Fachverfahren, die vielleicht weder als OZG-Kleinprojekt noch als übergreifende Fachanwendung besondere Aufmerksamkeit erlangen. Hier liegen die Herausforderungen eher z.B. im Alter der vorhandenen Software mit überholter IT-Technik, in unzureichenden Schnittstellen oder in der IT-Kompetenz der jeweiligen Organisationseinheit, wenn es gilt, „mal eben schnell“ die Excelliste des eigenen Fachverfahrens in eine Anwendung zu entwickeln. Aber: je größer das Projekt, desto höher die Risiken, zu scheitern.
Eine andere Dimension stellt die eigene Betroffenheit und die möglichen Freiheitsgrade dar: kann ich ein Projekt in Eigenregie durchführen, behalte also alle Handlungsoptionen in der Hand oder setze ich nur ein Projekt von außen nach verpflichtenden Methoden um (z.B. im Rahmen der IT-Konsolidierung).
Die dritte Dimension ist die Fachkompetenz. Nicht nur Projektleitende sollten einen Überblick über den gesamten Digitalisierungsprozess haben und wissen, wann mit welchen „Schrauben“ unter welchen Rahmenbedingungen Änderungen/Verbesserungen möglich sind, um bei möglichst geringem Aufwand den größten Impact im Projekt zu erzielen. Im oben genannten Beispiel „Scheitern in der Testphase“ wurde z.B. versäumt, Datenschutz und IT weit im Vorfeld zu berücksichtigen. Ebenso fehlt oft die Erkenntnis, dass sich nach einer „Übergabe an IT“ ein ebenso langer Prozess in der Umsetzung anschließt.
Herausforderungen auf allen Handlungsebenen ganzheitlich betrachten
Allen Digitalisierungsprojekten gemeinsam ist der eigentliche Prozess der Digitalisierung, der IT-technischen Umsetzung. Um hier das Bewusstsein für eine übergreifende Betrachtung zu erleichtern, kann die Methode des „End-to-End“-Prozesses aus der Softwareentwicklung eingesetzt werden. Diese verfolgt den Lebenszyklus von Software von der Idee bis zum erfolgreichen Regelbetrieb und umfasst eine ganzheitliche Projekt- bzw. Produktbetreuung über folgende Handlungsebenen:
- Strategie: legt eine hausinterne Vision der Digitalisierung fest („wo wollen wir digital hin?“), z.B. Open Data by Default, Open Source first
- Konzeption: umfasst die praktische Umsetzungsplanung der Strategie („wie kommen wir dorthin?“): wann werden welche Digitalisierungsprojekte in welche Reihenfolge durchgeführt, welche Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden, welche Ressourcen stehen zur Verfügung. Das Multi-Projektmanagement und Controlling gehören ebenfalls dazu.
- Projektmanagement: begleitet die einzelnen Projekte agil bis nach der Implementierung und wird im Betrieb vom Produktmanagement („product owner“) abgelöst
- Prozessmanagement: prüft die Sinnhaftigkeit von Prozessschritten, modelliert alle Aktivitäten bis nach der Implementierung und schlägt Automatisierungen vor
- Beschaffung / Umsetzung: bestimmt über innovative Ausschreibungen und technische Festlegungen eine moderne Umsetzung und überwacht die Ziele aus Strategie und Konzeption während der Softwareentwicklung
- Betrieb: stellt die fachliche und technische Betreuung der Anwendung sicher und arbeitet über Evaluationen an der kontinuierlichen Verbesserung, die wiederum an die Konzeption zurückfließt
Grundsätzlich werden alle Ebenen durchlaufen. „Gefahren“, die zum Scheitern von Projekten führen können, treten dabei nicht nur innerhalb von Handlungsebenen auf, sondern können sich auch erst in nächsten Schritten auswirken. Wenn beispielsweise die Betroffenheit des Datenschutzes nicht bereits in der Konzeption ermittelt und abgestimmt wurde, kann sich das Projekt auch letztlich erst in den Testphasen des Betriebs verzögern. Eine vorausschauende Konzeption ist daher von zentraler Bedeutung. Komplex wird die „End-to-End“-Betrachtung vor allem bei größeren Projekten, wenn unterschiedliche Beteiligte nur in verschiedenen Ebenen aktiv werden und nicht in die späteren Folgen ihres Handelns eingebunden sind.
Was kann der Einzelne tun?
In der Praxis werden Projektleitende und Projektmitarbeitende selten in allen Handlungsebenen aktiv eingebunden. Dies spiegelt sich auch in den Einflussmöglichkeiten wider. Allerdings können sich Betroffene über die Handlungsebenen ihrer Projekte informieren, nachfragen, auf Hürden hinweisen und Vorschläge machen. Ein Beispiel wäre den Hinweis auf die Bereitstellung standardisierter Schnittstellen im Rahmen von Großprojekten, die vielleicht auch für andere Behörden von Interesse wären.
Gerade bei den vielfältigen Fachverfahren in eigener Zuständigkeit bestehen im Rahmen der jeweiligen hausinternen IT-Infrastruktur und –vorgaben die größten Freiräume, Innovationen sowie eigene Ideen flexibel in allen Handlungsebenen umzusetzen.
In diesem Workshop sind alle willkommen, die Digitalisierung nicht nur einfach als technische Umsetzung vorgegebener Vorgänge verstehen und ihren Blick über den Tellerrand hinaus erweitern wollen. Die Aufgabenstellung ist dabei, durch kollegialen Wissens- und Erfahrungsaustausch Hürden zu identifizieren und Ideen bzw. Handlungsempfehlungen für erfolgreichere Projekte zu entwickeln.
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