Ein klares Commitment: Was die Digitale Zivilgesellschaft braucht, um eine resiliente Politik und Verwaltung wirksam mitzugestalten 

Blogbeitrag zum Workshop „Hin zur resilienten Verwaltung: Welchen Beitrag kann die (Digitale) Zivilgesellschaft leisten?“: https://piazza-konferenz.de/die-workshops/2023_resiliente-verwaltung/  


Im Frühjahr 2023 führten wir als betterplace lab eine Kurzstudie durch, um zu beleuchten, wie Resilienzpolitik durch den Einbezug der Digitalen Zivilgesellschaft gestärkt werden kann. Im Fokus stand dabei der zivilgesellschaftliche Blick: Expert*innen aus der Digitalen Zivilgesellschaft, also Akteur*innen, die sich explizit mit digitalen Themen auseinandersetzen und sie aktiv gesellschaftlich mitgestalten möchten, haben ihre Perspektive geteilt. Die Studie ist im Juni 2023 erschienen und kann auf der Website von CO:DINA kostenfrei heruntergeladen werden.  

Resilienz als Ziel für Politik und Verwaltung 

Resilienz – ein Buzzword, das in den letzten Jahren in aller Munde ist. Was damit gemeint ist, geht allerdings teils weit auseinander. In unserer Arbeit definieren wir Resilienz als die Fähigkeit eines Systems, adäquat auf Rückschläge zu reagieren, indem es sich an neue Rahmenbedingungen anpassen kann – sich also kontinuierlich fortentwickelt. Es geht also nicht um ein bloßes “Zurückfedern” in den Ausgangszustand (bounce back), sondern um Lern- und Entwicklungsschritte, die neue Perspektiven und Praktiken ermöglichen (bounce forward). So verstanden, weist Resilienz transformatives Potenzial auf. Das erscheint uns enorm wichtig in Zeiten, in den Gesellschaften, Sektoren, Organisationen und Einzelne nicht nur zunehmend gefragt sind, auf diverse unerwartete, komplexe Krisen zu reagieren, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche soziale-ökologische Transformation notwendig ist, um in den planetaren Belastbarkeitsgrenzen zu verbleiben. 

Deutlich wird: Im Resilienzkonzept steckt eine politische Dimension. Doch was genau ist Resilienzpolitik? Klassischerweise kommt sie insbesondere im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz zum Tragen und bezieht sich auf den Erhalt bzw. die schnellstmögliche Rückkehr zum Ausgangszustand. Ein Beispiel dafür ist die Resilienzstrategie des Bundesinnenminsteriums. Doch Krisenereignisse und ihre Folgen im Zusammenhang mit Klimawandel, Pandemien, politischen Unruhen oder Migration nehmen bereits gegenwärtig und zukünftig aller Voraussicht nach noch stärker zu. Damit gewinnt Resilienzpolitik in fast allen politischen Feldern an Relevanz, etwa in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit und Digitalisierung. Statt nur auf den Erhalt des Bestehenden, Robustheit und Widerstandsfähigkeit zu setzen, geht es dann um die Gestaltung einer angemessenen Balance aus Bewahren und Verändern. Und zwar Verändern in zweierlei Hinsicht – gemäß dem CO:DINA-Positionspapier zum Thema: Zum einen die Entwicklung aktiver und zielgerichteter Veränderungsstrategien sowie den Aufbau von institutionellen, organisatorischen und personellen Kapazitäten und Voraussetzungen für ihre Umsetzung; zum anderen die Fähigkeit, Veränderung als Ziel zu betrachten und sowohl vorausschauend als auch in Krisenmomenten neue Strukturen zu schaffen, die nachhaltiger sind als die bisherigen. Gerade hier spielt die Verwaltung eine essentielle Rolle. Sie steht vor der Herausforderung, eine Balance aus Stabilität und Flexibilität in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu entwickeln und zu halten – gemeinsam mit politischen Akteur*innen und der Zivilgesellschaft. 

Wieso gerade die Digitale Zivilgesellschaft?         

Digitale Themen und Dynamiken prägen mittlerweile sämtliche politischen Handlungsfelder. Wenn wir auf die Gestaltung und Umsetzung von Resilienzpolitik blicken: Was ist spannend an der Perspektive der Digitalen Zivilgesellschaft? Warum sollten Politik und Verwaltung sie einbeziehen? Zwei Asse haben die Akteur:innen der Digitalen Zivilgesellschaft im Ärmel: Ihre Digitalkompetenz, die von Diversität, Basisnähe und tiefgehendem thematischen Wissen geprägte Expertise und ein offenes, lösungsorientiertes Mindset verbindet, und eine klare Gemeinwohlorientierung in der Gestaltung des digitalen Raums sowie partizipativer Prozesse. Die nachfolgende Abbildung gibt detaillierter Aufschluss über beide Merkmale und die möglichen Gewinne für Resilienzpolitik. 

DigitalkompetenzGemeinwohlorientierung
Expertise mit Fokus auf das Zusammenspiel zwischen Digitalisierung und Gesellschaft

– Unter Berücksichtigung, wenn nicht gar Fokussierung diverser Perspektiven.
– Spezialisierung auf relevante Anwendungsfelder (z. B. Desinformation, Ethik der Algorithmen).
– Erfahrung aus der täglichen Praxis und schnelle Forschungsleistung.
Gemeinwohlorientierung im Zentrum aller Aktivitäten.

– Zielsetzung, den digitalen Raum nicht zu einem rein kommerziellen Raum werden zu lassen.
– Gegengewicht zur Produktorientierung von Wirtschaftsunternehmen.
– Willen zur langfristigen Gestaltung.
– Ausgeprägter Wirkungsanspruch.
Digital Mindset beschreibt eine offene wie unternehmerische Grundhaltung gegenüber technologischen Entwicklungen.

– Adaptionsfähigkeit im Umgang mit Krisen.
– Lösungskompetenz in Bezug auf soziale Herausforderungen.
– Schnelle Iteration und offener Umgang mit Scheitern.
– Vernetzung im Sektor und darüber hinaus.
Repräsentation von Gesellschaft und insbesondere vulnerabler Gruppen und damit die Möglichkeit für die Politik, mittelbar mit ihnen in Kontakt zu treten.

– Kenntnisse über Bedürfnisse, Hindernisse und Potenziale in der Lösungsfindung von und mit vulnerablen Gruppen.
– Erfahrungswerte, da z. T. selbst betroffen.
– Sensibilität und Verletzlichkeit
Abbildung aus der Kurzstudie “Digitale Zivilgesellschaft in der Resilienzpolitik” (S.7) 

Fragt man die Akteur*innen der Digitalen Zivilgesellschaft, können sie ihre Asse bislang allerdings noch nicht richtig ausspielen. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung macht deutlich, dass bundespolitische Beratungsgremien nur zu rund 14 Prozent mit zivilgesellschaftlichen Vertreter*innen besetzt sind (im Gegensatz zu fast doppelt so vielen Wirtschaftsvertreter*innen). Und selbst wenn sie eingebunden werden, empfinden zivilgesellschaftlich Engagierte den Prozess oft nicht als transparent, ausgewogen und produktiv – so sahen es jedenfalls unsere Interviewpartner*innen. Genauer: Häufig würden ‘die üblichen Verdächtigen’ eingeladen und kleinere Organisationen blieben unberücksichtigt oder konnten sich eine Teilnahme ohne Aufwandsentschädigung schlicht nicht leisten. Mehrfach blieben die Abläufe und Ergebnisse von Konsultationsprozessen und die Rollen der Eingeladenen darin unklar – bis hin zum Verdacht der Scheinpartizipation. Gerade für Resilienzpolitik, die sich mit komplexen Abwägungen und langfristigen Veränderungsprozessen befasst, ist dieser Status quo unbefriedigend. 

Was zu tun wäre 

Wie könnte es also in Zukunft besser laufen zwischen Politik, Verwaltung und Digitaler Zivilgesellschaft, um Resilienzpolitik ernsthaft zu verbessern? Dazu haben die interviewten Akteur*innen der Digitalen Zivilgesellschaft beachtenswerte Bedarfe und Vorschläge geäußert, die wir in unserer Kurzstudie in vier Themen zusammengefasst und durch insgesamt 13 Handlungsempfehlungen unterfüttert haben. 

1. Klärung der Erwartungen und Rollen: Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind keine Politiker*innen oder Verwaltungsangestellte – und dennoch machen sie Politik, übernehmen in manchen (Not-)Situationen Aufgaben der Verwaltung oder unterstützen diese. Doch auch wenn Flexibilität und Durchlässigkeit für resilienzpolitische Strategien unerlässlich sind, sollten Rollenverteilungen und Erwartungshaltungen stets expliziert und überprüft werden. Raum für konstruktive Kritik sollte ebenso gegeben sein wie ein gemeinsames Grundverständnis darüber, wie die verschiedenen Akteur*innengruppen sich begegnen. Zusätzlich wären finanzielle Aufwandsentschädigungen für Engagierte wünschenswert, die sich teilweise in prekär finanzierten Organisationen und ehrenamtlich tief in Themen hineinarbeiten, um aktive Beiträge zur gesellschaftlichen Veränderung zu leisten. 

Nr.MaßnahmentitelMaßnahmentyp
1.1Erwartungen an die Digitale Zivilgesellschaft explizit machenInformation
1.2Finanzierungsmöglichkeiten des Engagements prüfenFörderung

2. Wissen über eine gemeinwohlorientierte Digitalisierung: Die Digitale Zivilgesellschaft kann aus einem reichen Vorrat an Praxis- und Forschungswissen schöpfen und dieses in ganz unterschiedlichen Formen weitergeben. Hier können Politiker*innen und Verwaltungsmitarbeiterin einiges lernen – sofern die Lern- und Austauschformate passend zugeschnitten und anschlussfähig sind. Um den Wissensaustausch zu verbessern, braucht es daher eine offene Verständigung über die jeweiligen Bedürfnisse der Zielgruppen. Das kann beispielsweise durch Twinning-Programme gelingen, bei denen Menschen aus Politik und Verwaltung Menschen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen zeitweise in ihrer Arbeit begleiten und andersherum. Auch eine kollaborative Zukunftsforschung ist eine vielversprechende resilienzpolitische Strategie, um gemeinsam kommende (Krisen-)Entwicklungen zu antizipieren und konstruktiv in den verschiedenen Bereichen damit umgehen zu können. 

Nr.MaßnahmentitelMaßnahmentyp
2.1Lern- und Austauschformate zur gemeinwohlorientierten Digitalisierung anbietenInformation
2.2Twinning-Programm zwischen Politik und Digitaler Zivilgesellschaft aufstellenInformation
2.3Kollaborative Zukunfsforschung aufbauenInformation

3. Breite Beteiligung trotz Mehraufwand: Konsultationsprozesse, die sehr unterschiedliche Sichtweisen zusammenführen, sind aufwändig. Sie sind komplex in der Vorbereitung, der Moderation und der Organisation, um alle relevanten Positionen in eine konstruktive Auseinandersetzung und zu einem richtungsweisenden Ergebnis zu bringen. Die Schwierigkeit steigt enorm, wenn die Akteurslandschaft unübersichtlich und damit unklar ist, wer beteiligt werden sollte, um eine solide Entscheidungsgrundlage zu erreichen. Quoten, um Diversität und Ausgewogenheit herzustellen, werden hier als hilfreiches Tool erachtet. Für die Digitale Zivilgesellschaft existieren bereits Bündnisse und Plattformen wie digitalezivilgesellschaft.org, die versuchen, eine Landkarte der Akteur*innen im Themenfeld zu zeichnen. Ihre fortwährende Weiterentwicklung und Aktualisierung benötigt allerdings längerfristige (finanzielle) Unterstützung. 

Nr.MaßnahmentitelMaßnahmentyp
3.1Übersicht zu den Akteur*innen der Digitalen Zivilgesellschaft schaffenInformation
3.2Bündnisse schließenInformation
3.3Quoten für eine ausgewogene und vielfältige Beteiligung schaffenRegulierung

4. Transparente Prozessgestaltung: Klarheit ist ein Schlüsselbegriff für Konsultationsprozesse. Die Beteiligten möchten sich über Ziele und Abläufe informiert fühlen. Rollen sollten definiert sein und Spielräume für unterschiedliche Intensitäten des Engagements gewähren. Insbesondere digitale und hybride Formate und Tools – die teilweise auch in der Zivilgesellschaft entwickelt wurden und werden – können hierbei Flexibilität schaffen und eine breitere Beteiligung erreichen. Schließlich wird von den Befragten auch eine möglichst neutrale und machtsensible Moderation sowie ein transparentes Monitoring von Prozessen und Ergebnissen als essenziell für gelingende Konsultationsformate betrachtet. 

Nr.MaßnahmentitelMaßnahmentyp
4.1Transparenz über Ziele Rollen und Abläufe schaffenInformation
4.2Unterschiedliche Rollen entlang einer Engagement-Treppe ermöglichenInformation
4.3Neue (auch hybride) Konsultationsformate testenInfrastruktur
4.4(Machtkritische) Moderation einsetzenInfrastruktur
4.5Monitoring der Ergebnisse bereitstellenInformation
Detaillierte Steckbriefe zu den einzelnen Maßnahmen lassen sich in unserer Studie (ab Seite 24) nachlesen. 

Jetzt haben Sie einen kurzen Einblick in die Bedarfe der Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft erhalten. Doch wie verhält es sich umgekehrt: Was brauchen Menschen und Institutionen in der Verwaltung von der Digitalen Zivilgesellschaft, um resilienter zu agieren? Im Sinne der Multiperspektivität werden wir im PIAZZA-Workshop erarbeiten, welche Ansprüche und Bitten Verwaltungsakteur*innen und Wissenschaftler*innen an die Zivilgesellschaft stellen, wenn es um ein gemeinsames Vorankommen in Richtung einer resilienten Gesellschaft geht. Wir sind gespannt auf Ihre Gedanken und Beiträge!


Beitragsbild von Robert Koorenny auf Unsplash