Hin zur resilienten Verwaltung: Welchen Beitrag kann die (Digitale) Zivilgesellschaft leisten?

Im PIAZZA-Workshop „Hin zur resilienten Verwaltung: Welchen Beitrag kann die (Digitale) Zivilgesellschaft leisten?“ diskutierten Teilnehmende aus Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft mit den Referierenden Dr. Josefa Kny und Stephan Peters (betterplace lab) diverse Aspekte des Themas Resilienz. Im Fokus standen vor allem die Ansprüche der Verwaltung und der digitalen Zivilgesellschaft, wenn es um ein gemeinsames Vorankommen in Richtung einer resilienten Gesellschaft geht. Dieser Workshop baute auf einer Studie des betterplace lab, „Digitale Zivilgesellschaft in der Resilienzpolitik“, auf. 

Resilienz: Eine Balance aus Widerstandskraft und Transformation 

Nach einer kurzen Vorstellungsrunde verortete Stephan Peters das Thema Resilienz im Kontext von Krisen in einem ersten Impuls. Krisen sind diskursive und gesellschaftlich konstruierte Phänomene mit einigen hilfreichen Definitionsmerkmalen, beispielsweise der nicht-intentionalen Abweichung von der Normalität, einer sich zuspitzenden Entscheidungsphase, sowie einem Moment der Unklarheit, Unsicherheit und Ungewissheit. Vor diesem Hintergrund versteht man Resilienz als die Fähigkeit eines Systems, adäquat auf Rückschläge zu reagieren, indem es sich an neue Rahmenbedingungen anpassen kann und somit kontinuierlich fortentwickelt. Bei Resilienz geht es um eine Balance aus Widerstandskraft und Transformation, die auch die drei Dimensionen von Resilienzstrategien prägt, nämlich Robustheit und Widerstandsfähigkeit; strategische Anpassungsfähigkeit, und systemische Transformationsfähigkeit (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Dimensionen von Resilienzstrategien. Quelle: Großklaus, M. (2022). Vom Modewort zum transformativen Hebel, Codina Positionspapier Nº 11, S. 8

In der anschließenden Diskussion wurden einige Aspekte der Resilienz ergänzt und vertieft. Zentrale Fragen waren die Abgrenzung von Resilienz sowie Multiperspektivität: Ein Transformationsprozess für eine Person kann für eine andere Person eine Krise sein – der subjektive Zugang ist entscheidend und sollte berücksichtigt werden. Um die Dichotomie zwischen Krisenstand und Normalität zu lösen und den Diskurs zu erweitern​,​ wurden weitere Schlüsselbegriffe ins Spiel gebracht, wie etwa Turbulenz, Kontingenz, Komplexität und Disruption. Obwohl der Workshop darauf abzielte, Resilienz systemisch auf der Ebene der Organisation zu behandeln, wurde deutlich, dass sich das Thema nicht ganz von der individuellen Ebene entkoppeln lässt. Eine Organisation ist nur resilient, wenn die Mitarbeitenden resilient sind, daher ist der Begriff auch stark mit individuellen Kompetenzen verknüpft, zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung.  

Herausforderungen und Hilfsmittel für die Verwaltung  

Der zweite Teil des Workshops ging auf die Herausforderungen und Hilfsmittel für die Verwaltung ein. Ein Spannungsverhältnis wurde identifiziert zwischen der hierarchisch organisierten Verwaltung mit ihrer klaren Verantwortungsverteilung einerseits und unflexiblen Strukturen andererseits, die Reflexion und neue Ideen im Team ​häufig ​verhindern. Eine resiliente Organisation kann in einer Krise auf vorhandene Strukturen zurückgreifen: Hier könnte die Zivilgesellschaft als Vorbild für die Verwaltung dienen, denn durch ihre beweglichen Strukturen ist sie schneller in der Lage, in Krisen auf veränderte Anforderungen zu reagieren. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Verwaltungen ​weitgehend stark ​ausgelastet sind und es sich in der Praxis offenbar als schwierig erweist, kurzfristig Ressourcen in einen Transformationsprozess zu investieren, auch wenn dies mittel- oder langfristig Arbeit sparen könnte. 

Der Begriff „Bricolage“, im Sinne von Improvisation, hat in der Corona-Pandemie an Bedeutung gewonnen, als öffentliche Verwaltungen große Flexibilität bei der Anpassung von Prozessen gezeigt haben. Als Beispiel hierfür dienen etwa Schulbehörden. Krisen können bestenfalls den Impuls geben, Wandlungsprozesse in Gang zu bringen, die schon lange anstehen. Resilienz bedeutet dann, Dinge anders zu denken: Wie könnte ein Prozess anders aussehen, oder vereinfacht werden? Wie kann man die Leute, die eingebunden sind, besser mitnehmen?  

Als Gegensatz zu Resilienz wurde das Thema Effizienz diskutiert. Es ging in der Verwaltung lange Zeit darum, Prozesse mit weniger Ressourcen effizienter zu machen. Sobald sich aber eine Variable verändert​,​ funktioniert der Prozess nicht mehr. ​D​ie Vision, dass die Digitalisierung alles effizienter macht – auch Prozesse, die grundsätzlich nicht effizient sind​ – ​reicht aber nicht aus.   

Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und öffentlicher Verwaltung 

In einem weiteren Kurzimpuls stellte Stephan Peters einige distinktive Merkmale der (​D​igitalen) Zivilgesellschaft vor: Dazu gehören Freiwilligkeit, Gemeinwohlorientierung und keine Übernahme staatlicher Aufgaben. Die Zivilgesellschaft kann eine wertvolle Krisenreaktionsressource und Wissensträgerin für eine soziale Transformation sein. Oft geht es für sie nicht darum, die perfekte Lösung zu finden oder bereitzustellen, sondern schnell Hilfe zu leisten. Zugleich ist die Zivilgesellschaft auch selber von Krisen betroffen und steht oft sogar unter besonderem Druck, da sie in extremen Situationen und unter prekären Bedingungen ihre Funktion aufrechterhalten muss.  

Die ​D​igitale Zivilgesellschaft birgt viel Potenzial für die Verwaltung: Sie kann Digitalkompetenz, ein Digital Mindset, Gemeinwohlorientierung und ein hohes Maß an Repräsentanz beitragen. Zudem kann die Zivilgesellschaft viel schneller auf Probleme und Herausforderungen reagieren, vor allem durch ihre Nähe zur Gesellschaft. Sie kann besonders schnell Aufmerksamkeit auf Probleme lenken; damit verknüpft ist das lösungsorientierte Denken.  

In der Diskussion zeigte sich, dass die Abgrenzung zwischen den Zuständigkeiten des Staates und der Zivilgesellschaft manchmal unklar ist. ​E​s gibt jedoch positive Beispiele dafür, wie sie sich ergänzen können, wie etwa die Corona Warn App, die über die besten Datenschutz-Standards europaweit verfügte. Diese entstanden durch Druck von der Zivilgesellschaft für eine dezentral gesteuerte Lösung mit Open​-​Source-Standards. In einem kontinuierlichen Austausch zwischen öffentlicher Verwaltung und Zivilgesellschaft könnten künftig Projekte und Lösungen vom Staat kommen, die dann gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen umgesetzt werden. Die Bereitstellung digitaler Infrastruktur ist auch eine wichtige Aufgabe des Staates, ​bei der ​es deutlichen Verbesserungsbedarf gibt. Die Bereitstellung von Daten durch die Verwaltung kann als Basis dienen, auf der die Zivilgesellschaft Lösungen entwickeln kann – sonst fehlt die Grundlage, womit die Zivilgesellschaft handeln kann. Dafür muss der Staat auch in Open Source investieren. Konsultationen sind ​dabei ​auch eine mögliche Form der Zusammenarbeit.  

Wie kann die Zusammenarbeit gelingen? 

Im letzten Teil des Workshops wurden einige konkrete Wünsche und Forderungen an die öffentliche Verwaltung und Zivilgesellschaft formuliert: 

  1. Die Verwaltung muss eine Grundlage an Flexibilität erarbeiten und zum Beispiel verstehen, dass viele Ehrenamtliche tagsüber ​(lohn-)​arbeiten und daher nur abends verfügbar sind.   
  2. Der Staat muss (finanzielle) Ressourcen für die Digitalisierung und Verbesserung der digitalen Infrastruktur bereitstellen. 
  3. Die öffentliche Verwaltung soll schon vor der Krise vorausschauend handeln und der Zivilgesellschaft Raum geben. Der Austausch miteinander muss vertrauensbasiert und kompatibel gemacht werden.  
  4. Arbeit auf Augenhöhe: Die Zivilgesellschaft muss als gleichberechtigter Partner behandelt werden. Die Verwaltung muss auch verstehen, dass sie nicht alles alleine machen kann und ein Netzwerk an Partnern aufbauen, mit denen sie Ideen umsetzen kann. Dafür muss auch bürokratische​     ​ Aufwand gemindert werden.  
  5. Aus Sicht der öffentlichen Verwaltung fehlt es möglicherweise an Geduld in der Zivilgesellschaft. Die Zivilgesellschaft soll sich auf längere Prozesse in der Verwaltung einstellen, die man gemeinsam gehen will.  
  6. Es fehlt oft in der Zivilgesellschaft an Wissen über die öffentliche Verwaltung, beispielsweise zu Kompetenzen und Strukturen. Hier könnten Intermediäre zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft – beispielsweise „Change Agents“ in der Verwaltung – eine verstärkte Rolle spielen.  
  7. Oft sprechen die Zivilgesellschaft und öffentliche Verwaltung zwei unterschiedliche „Sprachen“. Hier braucht es mehr Geduld und Empathie, Sachen zu wiederholen oder anders zu erklären, wenn beide Seiten zusammenkommen.  

Schließich ist es wertvoll, dass die öffentliche Verwaltung und Zivilgesellschaft unterschiedliche Sektoren sind, die ihr eigenes Wissen einbringen und sich gegenseitig ergänzen können. Es braucht aber ein besseres Verständnis für- und miteinander, das möglichst früh institutionalisiert werden sollte. Die Teilnehmenden konnten im Workshop ihre Perspektiven der Resilienz erweitern und neue Erkenntnisse mitnehmen, unter anderem ein verändertes Verständnis von Krisen (mit Blick auf die subjektive Dimension); die Gegenüberstellung von Resilienz und Effizienz, sowie die Wichtigkeit von Konsens unter Stakeholdern und einem gemeinsamen Verständnis von Problemen. 


Bild von Marta I. Seco auf Pixabay