Eins nach dem anderem – alles auf einmal? Zu möglichen Synergieeffekten in der Umsetzung der gesellschaftlichen Großerwartungen Digitalisierung und Gleichstellung

An Verwaltungen werden zahlreiche gesellschaftliche Großerwartungen gerichtet. Gleichstellung und Digitalisierung zählen dabei mit zu den bedeutsamsten. Eine erwartbare Reaktion seitens der zur Umsetzung Aufgeforderten könnte lauten: „Eins nach dem anderen.“ Die Referent:innen des PIAZZA-Workshops Mirjam Dierkes (ISS e. V.), PD Dr. Marc Mölders (JGU Mainz) und Prof. Dr. Tino Schuppan (SHI) hingegen gehen davon aus, dass die Umsetzung beider Erwartungen von einer gleichzeitigen und gemeinsamen Bearbeitung profitiert. Darüber diskutierten sie mit Mitarbeiter:innen der Bundes- und Kommunalverwaltung ebenso wie mit Wissenschaftler:innen und Studierenden aus verwaltungsnahen und interdisziplinären Studiengängen. 

Eingangsimpulse: Synergien zwischen Digitalisierung und Gleichstellung aktiv gestalten 

Wie kann die Verschränkung von Digitalisierung und Gleichstellung innerhalb der öffentlichen Verwaltung praktisch gelingen? Welche Formate und Modelle sind bereits im Einsatz – und welche sind wünschenswert? Ausgehend von diesen Leitfragen startete der Workshop mit drei Kurzimpulsen. Den Anfang machte PD Dr. Marc Mölders, der auf die Notwendigkeit der „interkulturellen Kommunikation“ für den Wandel von Organisationen hinwies. Neues setze sich nicht automatisch durch, sondern müsse an die Deutungs- und Praxishoheiten vor Ort angepasst und für den „fremden Kontext“ übersetzt werden. Damit Wandel sich tatsächlich vollziehe, sollte darum zunächst ein gemeinsames Verständnis von Problem und Lösung entwickelt werden, in das unterschiedliche Perspektiven einfließen – beispielsweise der Technik, der Verwaltungsbürokratie und der Gleichstellung. Schließlich müssten Neuerungen allen Beteiligten einleuchten, damit sie unterstützt und mitgetragen würden.  

Prof. Dr. Tino Schuppan befasste sich in seinem Impuls mit der Digitalisierung von Staat und Verwaltung und verwies vor diesem Hintergrund auf eine „nicht-technische“ Gestaltungslücke: Häufig finde der konkrete Verwendungskontext von Technologien bei der Einführung von IT-Lösungen zu wenig Beachtung. Wünschenswert sei eine wertsensitive Betrachtung von IT, die menschliches Arbeiten mitdenkt und so beispielweise die Berücksichtigung von Gleichstellungsaspekten möglich macht. Ansatzpunkte für eine solch wertsensitive Gestaltung lägen in der Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter:innen und in neuen Mechanismen der Verantwortungssicherung ebenso wie in Mitgestaltungsformaten für Angestellte und neuen Erprobungsräumen.  

Auch Mirjam Dierkes widmete sich in ihrem Impuls den soziotechnischen Implikationen von Digitalisierungsvorhaben, die aus ihrer Sicht aktiv gleichstellungsorientiert gestaltet werden sollten. Digitalisierung finde schließlich in einem vergeschlechtlichen Kontext statt. Allerdings würden Gleichstellungsaspekte aktuell nicht systematisch in Digitalisierungsprojekte einbezogen. Damit blieben auch die Potenziale der Digitalisierung für Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit oft ungenutzt. Die Wechselwirkungen seien aber vielfältig: Sie reichen von Veränderungen der Arbeitsinhalte und entsprechend gerechter Entlohnung über automatisierte Entscheidungsprozesse mit Diskriminierungspotenzial bis hin zur geschlechtergerechten Ansprache bei digitalen Angeboten. Es gelte, danach zu fragen, wie sich diese gleichstellungsbezogenen Herausforderungen in konkreten Digitalisierungsprozessen innerhalb der Verwaltung mitdenken lassen. 

Perspektiven aus der Praxis: Hürden und innovative Ansätze innerhalb der öffentlichen Verwaltung 

Ausgehend von einem offenen, diversitätsorientierten Gleichstellungsbegriff, der neben Geschlecht auch Dimensionen wie Alter, Behinderung, Herkunft oder sexuelle Orientierung umfasst, teilten die Workshopteilnehmer:innen im Anschluss ihre persönlichen Erfahrungen. Dazu identifizierten sie Hürden und Stolpersteine ebenso wie positive Erlebnisse innerhalb ihrer Organisation rund um das Zusammendenken von Digitalisierung und Gleichstellung. 

Der Schwerpunkt der Diskussion lag dabei auf organisationalen und strukturellen Aspekten: So wurde darauf hingewiesen, dass die notwendigen kulturellen Veränderungen oft unterschätzt würden, also Dinge für selbstverständlich gehalten werden, die dies aus anderer Perspektive aber nicht sind. Eine weitere Hürde liege darin, dass Gleichstellungsaspekte bei der Ressourcenverteilung häufig nicht mitgedacht werden. Übergreifend werde Gleichstellung oft nur dann berücksichtigt, wenn sie explizit Teil eines Vorhabens sei. 

Eine rege Diskussion entstand rund um die Zusammenarbeit zwischen der Zentralverwaltung mit Akteur:innen, die für Gleichstellungaspekte zuständig sind: Als positive Erfahrung benannten Teilnehmer:innen beispielsweise die frühzeitige Einbindung des Personalrats, der Gleichstellungsbeauftragen und der Schwerbehindertenvertretungen in die fachliche Arbeit bei einem Digitalisierungsvorhaben. Es sei von großem Vorteil, diese Akteur:innen bereits während der Planungsphase einzubeziehen sowie regelmäßig Feedback einzuholen. Die daraus entstehende Kooperation ginge oftmals allerdings weit über festgeschriebene Zuständigkeiten hinaus. Neue und informelle Methoden der Zusammenarbeit, die insbesondere durch engagierte Einzelpersonen angestoßen würden, seien insofern eine immense Hilfe. Demgegenüber stand die Erfahrung anderer Teilnehmer:innen, die davon berichteten, dass entscheidende Akteur:innen, wie die Gleichstellungsbeauftragten, regelmäßig zu spät eingebunden würden. Sie könnten oft nur noch das Ergebnis überprüfen, was zu einer „Verhärtung der Fronten“ führe. 

Vor diesem Hintergrund wurde die Frage nach Bedingungen für das Gelingen nachhaltiger Kooperation dieser verschiedenen Akteur:innen aufgeworfen. Als einen zentraler Hebel identifizierten die Teilnehmer:innen Mechanismen, die konkret dabei unterstützen können, eine gut funktonierende Kooperation auch unabhängig von besonders engagierten Einzelpersonen dauerhaft zu etablieren. Damit verknüpft seien Fragen der Zuständigkeit („Wer vertritt eigentlich wen“?) ebenso wie Fragen der strukturellen Rahmenbedingungen („Ist Informalität ein Erfolgsfaktor?“). 

Umsetzungsideen: Neue Kommunikationsformate und bereichsübergreifende Umsetzung  

Daran anschließend fassten die Teilnehmer:innen im letzten Abschnitt des Workshops konkrete Umsetzungsideen für die Verknüpfung von Digitalisierung und Gleichstellung ins Auge und diskutierten dabei zwei zentrale Aspekte: erstens die Etablierung von neuen Gesprächs- und Kommunikationsformaten bei konkreten Projekten, aber auch und gerade anlassunabhängig sowie zweitens die bereichsübergreifende Planung und Umsetzung („kein Silodenken“).  

Neue, gemeinsame Kommunikationsformate könnten beispielsweise im Rahmen von Experimentierräumen in Laborsituationen erprobt werden. Räume dieser Art würden zu einem besseren gegenseitigen Verständnis der Beteiligten beitragen und die Entwicklung gemeinsamer Zugänge zu Aufgabenstellungen ermöglichen. Zudem sind sie nahezu frei von beschränkenden Rahmenbedingungen wie Werten, Ressourcen und Erfolgsdruck. Allerdings sei die Verstetigung solcher Formate ein zentraler Baustein: Um die „Sprache“ der jeweils anderen (IT-Expert:innen, Organisationsentwickler:innen, Gleichstellungsbeauftragte etc.) wirklich zu verstehen und nachhaltigen Wandel zu schaffen, bedürfe es eines regelmäßigen Austauschs. Daneben böten Formate dieser Art die Möglichkeit, neue Rollen und Akteur:innen zu identifizieren und einzubeziehen.  

Vor diesem Hintergrund wurde darüber hinaus die Vorteilskommunikation des Zusammendenkens von Digitalisierung und Gleichstellung ins Feld geführt – anstelle eines rein normativen Zugangs. Die Kommunikation von konkreten Vorteilen für die Mitarbeiter:innen und Führungskräfte könne dazu beitragen, Gleichstellung und Digitalisierung als Querschnittsthemen in die eigentlich vertikal und hierarchisch organisierten Verwaltungsstrukturen zu integrieren und so Silos aufzubrechen. Übergreifendes Ziel müsse es sein, diese Themen dort zu platzieren, wo sie eigentlich gebraucht würden – in den Fachprojekten. Dabei könne ein problemorientierter Ansatz unterstützen: Es gelte, zielgruppen- und nutzer:innenorientiert „in die Organisation hineinzufragen“, welche spezifischen Probleme durch eine Verknüpfung von Gleichstellung und Digitalisierung wie genau gelöst werden könnten. Auch dafür seien neue Kommunikationsformate nötig, die eine Einbeziehung aller Betroffenen, einen offenen Austausch und schnelle Feedbackschleifen möglich machen. Ein gutes Kommunikationsformat könne auf diese Weise auch als integratives Verständigungstool genutzt werden.  

Die Diskussion zeigte außerdem auf, dass die Beachtung von Gleichstellungsaspekten von Mitarbeiter:innen als zusätzliche Belastung empfunden werden kann. Schließlich müssten bei Digitalisierungsvorhaben bereits etliche Vorgaben beachtet werden. Hier könne eine frühzeitige Verknüpfung Abhilfe schaffen, die deutlich effizienter sei als eine Überprüfung oder „Ergebniskommunikation“ kurz vor Abschluss eines Projektes. Dazu zähle auch, das Thema Gleichstellung auf mehrere Schultern zu verteilen. Unterstützen könnten hierbei Personen, die mit den Eigenlogiken der Verwaltung ebenso wie der Informatik vertraut sind. Die aktuelle Zunahme von entsprechenden Querschnittsstudiengänge sei hier ein wichtiger Baustein. 

Abbildung: Ergebnisse des Workshops im kollaborativen Online-Tool.

Reflexion und offene Fragen: Empowerment und Mitgestaltungskompetenz als Schlüsselfaktoren 

Übergreifend zeigte der Workshop auf, dass neue und bessere Kommunikationsformate innerhalb der öffentlichen Verwaltung für eine erfolgreiche Verschränkung von Gleichstellung und Digitalisierung unabdingbar sind. Zugleich scheinen Formate dieser Art bislang noch kaum etabliert zu sein. Hier eröffnen sich Spielräume – für das praktische Erproben ebenso wie für die wissenschaftliche Forschung. Dabei lohne es, die folgenden Fragen ins Blickfeld zu rücken: Wie können Kulturänderungen ausreichend bedacht werden? Welche Dimensionen der Gleichstellung sind durch Digitalisierungsvorhaben tangiert? Ist hierfür Beratung von außen förderlich oder verlagert dies eher Verantwortlichkeit? 

Zentral sei es darüber hinaus, die Selbstermächtigung der Einzelnen zu unterstützen. Gleichstellung bei der Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben von Beginn an mitzudenken, erfordere das bewusste „Überschreiten“ von offiziellen Zuständigkeits- und Kompetenzbereichen. Vor diesem Hintergrund sei die Förderung der Mitgestaltungskompetenz von Verwaltungsmitarbeiter:innen ein zentraler Faktor – das betreffe insbesondere auch nicht-technische Komponenten. Damit in Zusammenhang wurden zwei zentrale Fragestellungen für die weitere Arbeit am Thema identifiziert: Wie lässt sich eine Organisationskultur und -struktur etablieren, die ein solches Engagement der Mitarbeiter:innen aktiv fördert, ohne sie zugleich zu überfordern? Und wie lassen sich diese neuen Anforderungen in die Lehre der Studiengänge integrieren, die die zukünftigen Verwaltungsmitarbeiter:innen ausbilden? Um diese Fragen beantworten zu können, müssten Wissenschaft und Praxis möglichst umfassend evaluieren, was gleichstellungsbasierte Digitalisierungsprozesse in der Verwaltung konkret auszeichnet – bis hin zur Entwicklung messbarer Komponenten. 


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